Matthias Giesen ist Kurator der Orgelkonzerte des Brucknerfestes Linz, Stiftskapellmeister im Chorherrenstift St. Florian und seit 2006 künstlerischer Leiter der Brucknertage St. Florian. Im Interview verrät er, was er so von der 6. Symphonie und den Brucknertagen 2016 hält.

Was bedeutet Bruckner’s 6. Symphonie, für Sie als Stiftskapellmeister persönlich?

Giesen: Die VI. Bruckner ist für mich die prägnanteste und kompakteste aller Bruckner-Sinfonien. Alles was Bruckner ist, ist hier auf den Punkt gebracht. Und ich verstehe immer mehr, dass sie motivisch das Bindeglied zwischen der V. und VII. ist. Ein zupackender Wurf, von Anfang an ist hier die Entelechie – die Gewissheit des Gelingens quasi beethovenartig ausgeschrieben.

Für das Ensemble-Konzert am 17. August haben Sie die 6. Symphonie neu arrangiert. Demzufolge erleben die BesucherInnen eine Erstaufführung. Welche Aspekte standen für Sie dabei im Vordergrund, bzw. was ist neu oder hat sich geändert?

Giesen: Neu ist der klare durchsichtige Klang, gerade bei dieser mitreißenden Sinfonie ist das ein Hörerlebnis, welches in viele „Ecken“ der Sinfonie neues Licht werden kann.

Was war dabei die größte Herausforderung?

Giesen: Die größte Herausforderung war dabei, nicht den Orchesterklang nachzuahmen, sondern eine eigenständige Kammermusikfassung zu machen, die auch ohne Kenntnis der Orchesterfassung gespielt werden kann. Orchestrale Effekte mussten dabei „deorchestriert“ (Anm.: Glenn Gould) werden, was bedeutet, dass Schmelzklänge beispielsweise ins Klavier oder ins Harmonium übernommen wurden, notfalls auch weggelassen werden. Dabei ist die Verwendung eines Harmoniums aber sehr zielführend. Bei einer solchen Bearbeitung darf nicht der Eindruck entstehen, dass es einfach eine „abgespeckte“ Orchesterfassung wird. Eine weitere Herausforderung war das Instrumentieren der divisi-Stellen also der geteilten Streicher. Gerade in er VI. ist das eine große Schwierigkeit, da zu entscheiden ist, wie strukturell bedeutend die jeweiligen Stimmen sind. Dabei ergeben sich dann sehr schnell gravierende Eingriffe in die Besetzung, die sich dann nicht weiter führen lassen – da gibt es viele Fallen und Sackgassen. Jede Stelle war deshalb einzeln zu entscheiden.

Welcher Teil oder Eigenschaft bildet Ihre “Handschrift” in dem Arrangement ab?

Giesen: Mmh, mal sehn, ob man das hören kann… Am schwierigsten war der erste Satz, da bin ich sehr gespannt, wie das dann wirklich klingt. Der ist auch klangtechnisch schon sehr komplex.

Wieviel Zeit nahm das neue Arrangement in Anspruch?

Giesen: Ein knappes Jahr.

Welche Frage wurde Ihnen während dessen am häufigsten gestellt?

Giesen: Eine häufige Frage der Musiker war, ob das Stück schwerer wird als die Orchesterstimmen. Nun, da jeder Spieler nur einfach vertreten ist, ist er oder sie atürlich alleine für die Stimme verantwortlich. Da die VI. sowieso nicht einfach ist fürs Orchester, ist der spieltechnische Anspruch natürlich nochmal höher. Dann auch die Frage nach dem Zeitmanagement, wie weit ist schon bin etc. Dann, wie man die komplexen Stellen insbesondere im ersten Satz lösen kann, auch im Scherzo die raschen Sextakkordstellen.

Welche der vier Sätze ist Ihr persönlich liebster und warum?

Giesen: Das kann ich nicht sagen, da ich die Sinfonie alles Ganze sehe und sie auch nur so im Zusammenhang verstehen kann. Viele sagen, sie können mit dem Finale nichts anfangen. Ich habe allerdings auch erst jetzt verstanden, dass das Finale so sein muss, insbesondere durch die Bezüge auf den ersten Satz. Es gibt viele Querbezüge.

Bruckner widmete seine 6. Symphonie seinem Hauswirt, dem Professor Ritter von Oelzelt-Nevin und dessen Frau. Wem würden Sie Ihr Arrangement widmen?

Giesen: Ich habe mein Fassung Prof. Thomas Christian, dem ersten Geiger des Ensembles gewidmet, der ein unermüdlicher Musiker und Arbeiter ist. Insbesondere hat er sich auch um Bruckner sehr verdient gemacht, er hat ja die VII. in der Kammerfassung wieder belebt und mich auch für die Arbeit an der VI. begeistert.

Mit welchem Gefühl werden Sie am 17. August die Bühne wohl betreten?

Giesen: Es wird jedenfalls sehr spannend, allerdings stehe ich nicht auf der Bühne, sondern werde es von weiter hinten anhören. Vor allem interessiert mich die Gesamtwirkung der ganzen Sinfonie in dieser Fassung.

… und mit welchem werden Sie sie verlassen?

Giesen: Tja, wenn ich das wüsste.